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Hildesheim als Orgelstadt

Rezension zu

Uwe Pape: Band 6 und 8 der Reihe "Norddeutsche Orgelbauer und ihre Werke"
von Domkantor Stefan Mahr

Norddeutsche Orgelbauer und ihre Werke, Band 8

Mit den Bänden 6 und 8 der Reihe "Norddeutsche Orgelbauer und ihre Werke" stellt der Organologe Prof. Dr. Uwe Pape zwei Bücher vor, die sich mit der Orgelkunst in und um Hildesheim im 19. und 20. Jahrhundert befassen. Da aber die Kunst des Orgelbaus immer auf den Leistungen der Vorfahren basiert, möchte ich Sie, liebe Leser, auf eine kurze Reise in die Hildesheimer Orgelgeschichte mitnehmen.

Die erste Erwähnung von Orgeln in der Stadt Hildesheim steht im Zusammenhang mit der Schlacht von Dinklar im Jahr 1367: so konnte von den Reparationszahlungen ein neues Instrument im Dom gebaut werden. Auch die belegte Jahreszahl eines Orgelbaus in St. Michaelis durch Conrad Berstorp aus dem gleichen Jahr könnte hiermit im Zusammenhang stehen.

Ab dem 17. Jahrhundert finden sich in Hildesheim niedergelassene Orgelbauer, die in der Region Orgeln verschiedenster Größe im Stil der Nord- und teilweise auch der Mitteldeutschen Schule bauen. Orgelbauer wie Henning Henke, Matthäus Naumann, Hans Heinrich Bader, sowie Johann Georg und Johann Conrad Müller bauen qualitativ hochwertige Instrumente in Stadt und Land, von denen einige (besonders in den Dörfern) bis heute erhalten sind.

Aus dieser Zeit stammen auch zwei bedeutende Schriften über Orgeln aus Hildesheim und Umgebung: Michael Praetorius erwähnt 1619 in seinem zweiten Band – "De Organographia"- seines großen Werkes "Syntagma musicum" die Disposition der damaligen Orgel von St. Godehard und etwas mehr als hundert Jahre später widmet Johann Hermann Biermann der Orgellandschaft in und um Hildesheim sogar ein eigenes Buch: die "Organographia Hildesiensis specialis" aus dem Jahr 1738, dass 2008 in einer kommentierten Neuauflage im Verlag Olms erschienen ist.

Im 19. Jahrhundert sind es dann vor allem zwei Namen, die der Orgelregion ihren Stempel aufdrücken: Die Orgelbauerfamilie Furtwängler aus Elze und die Orgelbauer Schaper aus Hildesheim (Heinrich und August Schaper). Diese Firmen waren sowohl im evangelischen, wie im katholischen Bereich tätig. Von beiden Firmen sind bis heute Instrumente in den verschiedensten Größen erhalten geblieben und zeugen klingend von der Kunstfertigkeit ihrer Erbauer. Kleine einmanualige Orgeln dieser beiden Orgelbauerfamilien sind u.a. in Barnten und Sottrum erhalten, etwas größere zweimanualige Orgeln finden sich z.B. in Sibesse und Adlum. Aus der Werkstatt Furtwängler stehen in Gronau und außerhalb der Region Hildesheim die größten Exemplare in Verden und in Salzwedel, von Schaper finden sich die größten erhaltenen Orgeln in Alfeld und in Harsum.

Über die gut erhaltenen Instrumente hinaus sei dem Autor ein Exkurs und Plädoyer für die wunderbare Orgel in St. Godehard gestattet, die sich heute in einem mehr als beklagenswerten Zustand befindet. Das große Werk der Firma Furtwängler (baulich stark der Domorgel in Verden an der Aller verwandt) aus dem Jahr 1912 ist ein Juwel, das aber wegen seines jetzigen Zustandes alle Leuchtkraft verloren hat. Diese Orgel im Eigentum der Klosterkammer Hannover braucht dringend Hilfe, da der Zustand sich von Sonntag zu Sonntag verschlechtert. Nur die Bereitschaft der örtlichen Musiker zu kleinen "Notoperationen" und die reiche Akustik der Kirche können diesen Zustand der alten Dame auf der Empore noch einigermaßen vertuschen.

Zurück zum Thema: So reich der Fundus an historischen Orgeln in den Dörfern und kleinen Städten rund um Hildesheim ist, so schlecht ist die Lage in der Stadt Hildesheim selbst, denn die meisten Orgeln der Stadt Hildesheim gingen im Feuersturm des 22. März 1945 unter und so begann mit den Nachkriegsjahren ein neues Kapitel der Hildesheimer Orgelgeschichte.

Viele Orgelbauer aus ganz Deutschland, errichten in den wiederaufgebauten Kirchen nun ihre Werke. Der Dom bekommt 1960 aus der Werkstatt Breil in Dorsten nach Plänen von Rudolf Reuter die erste kath. Domorgel Deutschlands mit mechanischer Spieltraktur . In St. Andreas entsteht durch Rudolf von Beckerrath aus Hamburg eine der optisch und klanglich schönsten Orgeln Deutschlands aus der Nachkriegszeit. Einige Jahrzehnte später wird in Hildesheim dann wieder eine außergewöhnliche Orgel erbaut: St. Michalis bekommt 1998 von der Firma Woehl aus Marburg eine "Orgelskulptur" errichtet, die nach Jahren der Diskussion und verschiedensten Entwürfen in der gesamten Orgelwelt größtes Interesse erfahren hat.

Aber auch in den kleineren Kirchen Hildesheims entstehen hochwertige neue Orgeln. So z.B. in der Martin Luther Kirche durch Rudolf Jahnke und St. Magdalenen durch die Firma Seifert. Ältere Orgeln der Stadt werden über die Jahrzehnte in den Kirchen gepflegt und in gutem Stand gehalten, bzw. renoviert. Als Beispiele hierfür können die Orgeln der Klosterkirche in Marienrode und in St. Elisabeth genannt werden.

Für die Zukunft wird es wohl vor allem die große Domorgel aus der Werkstatt Seifert sein, die nach der Sanierung des Domes im Jahr 2014 auf der Orgelkarte Hildesheims noch einen weiteren Akzent setzen wird.

Die beiden Bücher aus dem Verlag Pape sind im Rahmen der Reihe "Norddeutsche Orgelbauer und ihre Werke" erschienen und im Aufbau identisch. Der Autor Uwe Pape beginnt mit einer kurzen Einführung zur Leben und Werk der jeweiligen Orgelbauer und stellt dann die Orgeln in Einzeldarstellung vor. In beiden Büchern kann der Autor auf eine einzigartige Quellenlage verweisen, da er durch seinen hervorragenden Ruf in der orgelwissenschaftlichen Szene die Nachlässe beider Orgelbauer zur Erstauswertung bekam. Dies verbindet er mit den Daten aus der von ihm gegründeten Orgeldatenbank Berlin (ORDA), in der er seit Jahrzehnten akribisch alles zusammen stellt, was an Ergebnissen bei Recherchen in Archiven und Kirchen zu finden ist.

Band 6 trägt alles Wissenswerte über das Leben und das Werk der Orgelbauerfamilie Schaper zusammen: Heinrich Schaper wird 1802 in Sack bei Alfeld geboren, gründet 1833 in Alfeld eine Orgelbauwerkstatt, die er 1844 nach Hildesheim verlegt. Dort wirkt er bis ca. 1877, als er die Firma an seinen Sohn August Schaper übergibt. 1884 stirbt er in Hildesheim. Sein Sohn August wird 1840 in Alfeld geboren und übernimmt die Leitung der Firma in den Jahren zwischen 1877 und 1881. Seine Ausbildung bekommt August Schaper neben der Mitarbeit in der väterlichen Werkstatt u.a. in Süddeutschland bei Weigle und Walcker. Er führt dann in der eigenen Werkstatt u.a. den Bau von Kegelladen ein, bleibt aber sonst den Bauprinzipien seines Vaters eng verbunden. Da sein einziger Sohn nicht Orgelbauer wurde, schließt August Schaper die Werkstätte 1919. Ein Jahr später stirbt er in Hildesheim. Einige wichtige Orgeln aus dem Schaffen dieser beiden Männer sind vorher schon benannt worden.

Band 8 widmet sich dem Orgelbauer Ernst Palandt, der 18 Jahre nach der Schließung der Schaperschen Werkstatt in Hildesheim den Orgelbau wieder heimisch macht. Kurz vor dem Krieg, im Jahr 1937, eröffnet dieser gemeinsam mit Wilhelm Sohnle in Hildesheim seine Werkstätte. Ernst Palandt wurde 1940 in Bochum geboren und wuchs in Celle auf. Später studierte er in Hannover und Berlin Maschinenbau und machte sein Diplom zum Diplomingenieur. Obwohl nie zum Orgelbauer ausgebildet, hatte er jedoch immer im Orgelbau mitgearbeitet und sich diesem schon als junger Mann vollständig verschrieben (u.a. baute er sich 1933 eine eigene Hausorgel). Neben vielen fundierten Artikeln zur Orgelgeschichte Hildesheims und der Region in verschiedenen Jahresschriften etc. ist es ihm zu verdanken, dass 1930 die "Organographia Hildesiensis specialis" erstmals in kommentierter Form als Faksimile neu herausgegeben wurde.

Von seinen Orgeln sind heute vor allem die Orgeln in Hildesheim St. Lamberti und Braunschweig Lehndorf, Heilig Geist Kirche als klingende Zeugen der Arbeit dieses Orgelbauers zu nennen. Die Werkstatt existierte unter verschiedenen Namen bis in das Jahr 1986. Palandt selbst verstarb 1979, die Firma wurde aber von seinem langjährigen Mitarbeiter Dieter Kollibay weitergeführt.

Bei aller Freude des Fachmanns über die große Detailgenauigkeit dieser Veröffentlichungen, muss dem Interessierten aber klar gesagt werden, dass nur die Einleitungen einen fließenden Prosatext haben, der auch für den Laien gut zu lesen ist. Die Einzeldarstellungen sind zusammengestellte Kopien aus den Datensätzen der ORDA und somit eine beeindruckende Sammlung von Fakten, die ganz klar dem wissenschaftlichen Zweck dienen, aber natürlich weniger zum Lesen einladen. Ergänzt werden diese Datensammlungen um gut gemachte Fotos der Orgeln, die aber leider nicht immer bei den jeweiligen Datensätzen abgebildet sind.

Versucht man einen Vergleich, so sind es wohl die Bücher Uwe Papes und die Bücher des Autorenduos Karl Heinz Göttert und Eckhard Isenberg aus Köln, die das Thema "Orgel" von den am weitesten entfernten Standpunkten angehen: Uwe Pape arbeitet mit der wissenschaftlichen Genauigkeit des Organologen und versucht dem Leser die Geschichte der jeweiligen Orgeln durch Fakten und Jahreszahlen bewusst zu machen. Göttert und Isenberg dagegen wählen den Weg der unterhaltsamen Geschichten über die vorgestellten Instrumente. Sicher haben beide Wege ihre Berechtigung und ihr Zielpublikum, man muss eben nur vorher wissen, was man sich kauft. Anders formuliert könnte man auch sagen, dass Uwe Papes Bücher am Schreibtisch die besten Begleiter sind die man sich vorstellen kann, im Urlaub, oder bei einer Zugfahrt erfreuen die Geschichten der Kölner Autoren.

Stefan Mahr